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http://www.news.de/panorama/855034195/religion-gegen-pandemie/1/

Religion gegen Pandemie

Das Opferfest in Mekka darf sich kein gläubiger Muslim entgehen lassen. Doch in diesem Jahr mischt sich das H1N1-Virus unter die Pilger. 3000 Euro zahlen deutsche Muslime für die Krönung ihrer Glaubenspflichten - und lassen sich durch die Pandemie nicht abschrecken.

wei uralte Gewalten messen dieser Tage ihre Macht über den Menschen: Religion und Pandemie. Schon heißt es, die Katholiken sollten ihr Weihwasser nicht mehr teilen, um dem Virus sein Spiel zu erschweren. Wir alle sind angehalten, uns nur noch verhalten nahe zu kommen - und dann drängeln sich Muslime aus aller Herren Länder auf engstem Raum in Mekka.

Es ist Hadsch, die jährliche Zeit der Wallfahrt nach Mekka, an der jeder Muslim einmal in seinem Leben teilgenommen haben sollte. Nun tragen Frauen auf dem Weg zu den Pilgerstätten Atemschutzmasken, obwohl sie doch eigentlich bei der Krönung ihrer religiösen Pflichten das Gesicht unverschleiert halten sollen. Doch die Schweinegrippe lässt sich nicht ausblenden, wenn zwei bis drei Millionen Menschen aus der ganzen Welt von der schwarzen Kaaba wie ein Magnet angezogen werden, um sich Anfang Dezember wieder strahlenförmig über den Erdball zu verteilen. Der religiöse Ritus als Umschlagplatz für Viren - eine beängstigende Vorstellung.

Tatsächlich unternehmen 2009 offiziellen Angaben zufolge im Vergleich zum Vorjahr nur gut zwei Drittel der Pilger die Reise nach Mekka. Die Pilgerfahrt abzusagen kommt jedoch für viele Muslime einer Sünde gleich. «Nicht jeder hat die Möglichkeit, überhaupt zur Hadsch zu kommen. Wer für dieses Jahr die Absicht geäußert hat, wird jegliche Möglichkeit wahrnehmen. Denn das Risiko ist groß, dass er im nächsten Jahr die Reise nicht machen kann. Ältere Leute haben auch Angst, zu sterben, ohne ihre Religion vervollständigt zu haben», erklärt Lut Oberröder.

Der junge Auszubildende lernt im Essener Reisebüro Balcok, einem von zwölf Reisebüros in Deutschland, die sich um die Ausstellung der Pilger-Visa bei der saudi-arabischen Botschaft kümmern und Komplettpakete zur Hadsch anbieten. Oberröders Chef, Ibrahim Balcok, leitet gerade in Mekka seine 700 Pilger durch die Hadsch. Kein einziger sei bei ihnen abgesprungen, sagt der Auszubildende.

 

Strenge Bedingungen aus Saudi-Arabien

Sorge habe ihnen nicht das H1N1-Virus selbst bereitet, sondern die Organisation des Ganzen. Denn die saudi-arabische Botschaft hatte zunächst hohe Auflagen für die Vergabe der Pilger-Visa vorgegeben: «Die waren teilweise so utopisch, dass wir dagegen vorgegangen sind», erzählt Oberröder. Menschen mit chronischen Krankheiten sollten grundsätzlich ausgeschlossen werden, Pilger über 65 Jahren ebenfalls.

Letztlich konnten die Reiseveranstalter die Anforderungen auf ein ärztliches Attest und die Impfung gegen die saisonale Grippe zusammenstauchen. Denn als Ende Oktober die Visa vergeben wurden, waren die Schweinegrippe-Impfungen noch nicht für jedermann zugänglich. Jeder Hadschi sei nun für sich selbst verantwortlich, gab der saudi-arabische Botschafter den Pilgern mit auf den Weg.

Eigenverantwortung ist auch die Devise des Auswärtigen Amtes. Reisende sollten selbst entscheiden, ob es notwendig sei, Länder zu besuchen, in denen die Influenza A/H1N1 vorkommt, heißt es in den Vorgaben des Ministeriums zur Pandemie. Auch das Robert-Koch-Institut mischt sich nicht ein in das Reise- oder Versammlungsverhalten der Bürger. «Die Weltgesundheitsorganisation hat mehrfach darauf hingewiesen, dass man Reisebeschränkungen nicht für sinnvoll hält», sagt Institutssprecherin Susanne Glasmacher. Auch für Massenveranstaltungen in Deutschland gebe man nur die Standardempfehlungen aus, um die Tröpfcheninfektion zu vermeiden. Wenn überhaupt, sei es auch in Deutschland Sache der Gesundheitsämter vor Ort, eine Veranstaltung abzusagen, betont Glasmacher.

Atemschutzmasken für alle und grundsätzliche Tipps sind es denn auch, die das Reisebüro Balcok seinen Pilgern mitgegeben hat. «Wir haben die Hadschis darauf hingewiesen, dass sie die übliche Begrüßung, wo man sich an der Wange berührt, unterlassen sollen. Jeder muss sehr auf sich achten, auf Hygiene », erklärt Lut Oberröder. Ohnehin würden viele in Saudi-Arabien krank. Weil sie sich nur von Fertiggerichten ernährten und nicht daran dächten, bei der Hitze ausreichend zu trinken. «Sie fallen einfach um, vor allem ältere Leute.»

Bis vor einigen Jahren seien 80 Prozent der Pilger alte Leute gewesen, erzählt der 28-Jährige, der selbst schon zweimal bei der Hadsch dabei war - einmal als Hadschi und einmal als Reiseleiter. Einen ganzen Monat freizumachen ist im Berufsleben nicht einfach, und auch die 2950 Euro, die bei Balcok für das Komplettpaket zu zahlen sind, wollen erst einmal zurückgelegt werden. Zudem habe man früher die Auffassung vertreten, sich nach einem langen Leben durch die Pilgerfahrt reinigen zu können, erklärt Lut Oberröder. Inzwischen streben jedoch immer mehr Gläubige danach, sich schon in jungen Jahren als vollständiger Muslim fühlen zu können.

Bei den Umkreisungen der Kaaba die empfohlenen zwei Meter Abstand zum Nächsten zu halten, hält Lut Oberröder für unmöglich. Doch immerhin reduziere die trockene Wüstenluft die Wahrscheinlichkeit der Tröpfcheninfektion. Derzeit aber ist  Unwetter in Saudi-Arabien. Die Gewalten fordern sich heraus.

 

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